Die Vorgeschichte
Auf dem Grundstück an der Bahnstraße auf dem nun gebaut werden soll, stand von 1872 bis 2019 das Willicher Krankenhaus. Nach der Schließung des Hauses im Jahr 2014, beherbergte das Gebäude ein Flüchtlingsheim.
Bereits kurz nach der Schließung des Krankenhauses gab es erstmals Interesse eines Investors auf dem Grundstück einen Supermarkt samt Wohnbebauung zu errichten. Mit Hinweis, dass die Bahnstraße den zu erwartenden Liefer- und Besucherverkehr nicht verkraften könne, wurde dieses Interesse abgeblockt.
Trotz des privaten Interessenten kaufte im Jahr 2016 die städtische Grundstücksgesellschaft Haus und Grundstück von den bisherigen Krankenhausbetreibern, den St. Augustinus Kliniken aus Neuss.
Der Wettbewerb
Die Stadt selber führte dann im Jahr 2018 einen städtebaulichen Wettbewerb durch, um eine Konzeption für die Bebauung des ehemaligen Krankenhausgeländes zu finden.
Die Wettbewerbsaufgaben schrieben unter anderem einen sensiblen Umgang mit dem vorhandenen Baumbestand (S. 11) und - als einzige Denkmalschutzvorgabe - den Erhalt eines Gedenksteins auf dem Grundstück (S. 11) vor.
Spannender ist jedoch, worauf nicht hingewiesen wurde:
Obwohl das letzte städtische Verkehrskonzept aus dem Jahr 2014 stammt und das Projekt somit nicht berücksichtigt, wurde keine weitere Verkehrsplanung verlangt.
Zudem wurde nicht darauf hingewiesen, dass die Häuser Bahnstraße 3, 6, 8, 22, 24, 33, 87 unter Denkmalschutz stehen. Unter Impressionen wurde lediglich eines aufgeführt, jedoch auch dort der Erhalt des Denkmals nicht zu einer Wettbewerbsbedingung gemacht.
Beteiligt am Wettbewerb haben sich neun Planungsbüros. Trotz der ja eh schon schmalen eigenen Vorgaben, wird bei der Vorbesprechung des Preisgerichts am 7. August 2018 auf Nachfragen deutlich gemacht: „Im WB-Gebiet sind keine Bäume zu erhalten.“
Zudem fragen Teilnehmer der Vorbesprechung nach den First-und Traufhöhen, sowie den Dachformen der umgebenden beidseitigen Bebauung in der Bahnstraße und in der Burgstraße, da eine geglückte Einfügung in die nachbarschaftliche Bebauung natürlich etwas mit diesen Höhen zu tun hat. Zwar werden diese Informationen den Teilnehmern im Anschluss mit dem Protokoll zur Verfügung gestellt, aber dennoch wird das Preisgericht am Ende einen Siegerentwurf auswählen, der darauf keine Rücksicht nimmt.
Die diversen denkmalgeschützten Häuser in der Bahnstraße spielen für die Stadt gar keine Rolle.
Auf die Frage nach der Straßenplanung und ob die Zufahrt auch von einer anderen Straße als der Bahnstraße erfolgen kann, wird geantwortet: „Die Erschließung des Wettbewerbsgebiets mit Kraftfahrzeugen erfolgt ausschließlich über die Bahnstraße – in Zukunft dann aus Richtung Norden, vom Kreisverkehr auskommend. Es gilt sowohl die Verkehre der Anwohner, der Kunden für Einzelhandel und Dienstleistung, als auch die Lieferverkehre für den Einzelhandel zueinander möglichst verträglich abzuwickeln. Wie dies geschehen soll, wird dabei nicht ausgeführt. Alleine damit der Lieferverkehr, der mit Sattelschleppern erfolgt, über die Burg- oder Mühlenstraße herausfahren kann, müssen dort alle Parkplätze wegfallen.
Bereits bei dieser Sitzung merkt ein Fragender an, dass die geforderten Einzelhandelsflächen sehr groß erscheinen und fragt nach „Sind diese korrekt?“ Es wird klar, dass die 750 qm für fünf Arztpraxen nicht in der Einzelhandelsfläche von 2.000 qm erhalten ist. Die Gesamtfläche für den Einzelhandel solle jedoch flexibel in kleinere Einheiten unterteilt werden und somit verschiedene Flächen für unterschiedliche Nutzungen anbieten.
Trotz dieser Wettbewerbsvorgaben wird die Stadt am Ende 2.700 qm als eine einzige Einzelhandelsfläche befürworten und 840 qm Büro und Praxen. Zum Vergleich: Der REWE-Markt an der Brauereistraße hat 2.800 qm Verkaufsfläche – dafür jedoch auch mehrere Zufahrten, keine davon eine Einbahnstraße, und Parkplätze.
Mehrere der teilnehmenden Planungsbüros haben auf Nachbarn, Natur und Denkmalschutz Rücksicht genommen. Gewonnen haben sie trotzdem nicht. Gewonnen hat der Teilnehmer, dessen Entwurf sich später am besten maximieren ließ.

Der Bauträger
Nach dem Kauf durch die Grundstücksgesellschaft der Stadt Willich mbH (GSG) und der Durchführung des städtebaulichen Wettbewerbs wurde eine Ausschreibung für den Verkauf des Grundstücks durchgeführt. Diese entschied der Investor bpd für sich. Der Kaufpreis sollte über den 10,3 Millionen Euro liegen, bei dem ein anderer Bieter ausgestiegen ist.
Glaubt man der Broschüre der Stadt Willich ist das Grundstück 11.890 qm groß, selbst wenn der Kaufpreis 10 Millionen Euro betragen hätte, kommt man auf einen Quadratmeterpreis von 850 Euro. Laut BORIS.NRW, dem zentralen Informationssystem der Gutachterausschüsse und des Oberen Gutachterausschusses für Grundstückswerte über den Immobilienmarkt in Nordrhein-Westfalen, beträgt der Bodenrichtwert für die Katharinenhöfen und die umliegenden Flächen 250 Euro pro Quadratmeter (Stand August 2021).
Der Bauträger hat das Grundstück somit zu dem Drei- bis Vierfachen des angemessenen Bodenrichtwerts gekauft. Damit daraus dennoch ein gewinnbringendes Projekt wird, muss aus der Fläche nun der maximale Ertrag gepresst werden. Das mag im Interesse der Grundstücksgesellschaft sein, aber ganz bestimmt nicht im Interesse Willichs und seiner Bürger, die bezahlbaren Wohnraum dringend brauchen.


Die heutigen Planungen
In der Rheinischen Post am 11. Juni haben der Projektentwickler Oliver Ruben, der Bürgermeister der Stadt Willich, Christian Pakusch und der technische Beigeordnete gesagt, was – anders als im städtebaulichen Wettbewerb vorgegeben - wirklich geplant ist: 112 Wohnungen, 840 qm Gewerbefläche und zusätzlich eine einzelne 2.700 qm große Einzelhandelsfläche.
Vergleicht man mal den städtebaulichen Wettbewerb mit diesem Monster, so sieht man, dass aus 80 Wohnungen plötzlich 112 geworden sind, aus 700 qm plötzlich 840 qm Gewerbefläche und aus 2.000 qm Einzelhandelsfläche, die zwischen verschiedenen Nutzern geteilt werden sollte, eine einzige 2.700 qm Einzelhandelsfläche entstanden ist. Das ist eine wundersame Vermehrung um 40 % mehr Wohnungen als ursprünglich vorgesehen, um 20 % mehr Praxen und Büros und um 35 % mehr Einzelhandelsfläche.
Neben dem gesetzlichen vorgeschriebenen Anteil für sozialen Wohnungsbau, wird der Preis der anderen Wohnungen zwangsläufig noch höher sein, wenn der Projektträger bpw den Kaufpreis wieder rausholen will. Aber weder werden sich Willicher die Wohnungen leisten können, noch erträgt Willich eine solche massive Bebauung.
Die Anwohner der Bahnstraße und der angrenzenden Straßen werden sechs Tage in der Woche unter der Verkehrssituation, dem Lärm und den Abgasen von Lieferverkehrs und Kunden leiden.
Der fehlende Artenschutz
Und Platz für geschützte Arten gibt es da auch nicht mehr. Das Artenschutzgutachten zum Baugebiet sagt dazu:
Im Rahmen der Fledermauskartierung wurden 2018 folgende Arten nachgewiesen: Zwergfledermaus, Kleinabendsegler, (Braunes) Langohr, Rauhaut- und Wasserfledermaus. Des weiteren 19 planungsrelevante Vogelarten.
Aufgrund dessen fordert das Artenschutzgutachten unter dem Punkt "Maßnahmen im Rahmen der künftigen Bebauung" (Seite 33) die Vermeidung von spiegelnden Fassaden und Scheiben, Glasflächen an Ecken und Glasflächen von mehr als 3 qm Größe. Auch nach Abschluss der Bebauung sollten Lichtemissionen in die Umgebung möglichst vermieden und nur die notwendigen Flächen beleuchtet werden. Dauer und Lichtstärke sollten minimiert sowie naturverträgliche Leuchten und Leuchtmittel eingesetzt werden.
Wie passt das zu den "lichtdurchflutete Wohnungen", die der Investor auf seiner Website anpreist? Der Artenschutz wird offenbar ebenso ignoriert, wie zuvor der Erhalt der Bäume im städtebaulichen Wettbewerb. Auch die Beleuchtung des geplanten Supermarktparkplatzes passt nicht zu den Vorgaben.
Die aktuelle Planung
Damit dieses monströse Vorhaben möglichst einfach und unbemerkt durchrutscht, hat sich die Stadt Willich für ein sogenanntes "Beschleunigtes Verfahren nach § 13a BauGB - Bebauungspläne der Innenentwicklung" entschieden.
An der Bahnstraße befindet sich ein 54 x 60 m großer Block, der zur Aufnahme von Einzelhandelsgeschäften im Erdgeschoss als „Urbanes Gebiet“ oder „Kerngebiet“ ausgewiesen werden soll. Für die drei- bzw. viergeschossigen Obergeschosse sind flexibel aufteilbare Praxen oder Wohnungen vorgesehen, im Innenbereich sollen auf dem Erdgeschoss Mietergärten und Gemeinschaftsflächen entstehen.
Die Bebauung an der Bahnstraße wird als „URBANES GEBIET (MU)“ gemäß § 6a BauNVO festgesetzt, um der angestrebten Nutzung zu entsprechen.
Praktisch für die Stadt: Man weist die Flächen so aus, wie sie ausgewiesen werden müssen, damit sie der angestrebten Nutzung entsprechen. Das ist keine Begründung für die geplante Ausweisung, sondern ist die Offenbarung, dass man die Interessen des Investors durchsetzen möchte.



So wird die Bahnstraße zur Straßenschlucht.
An der Bürgersteigkante soll bis zu 16,8 m hoch gebaut werden, etwa doppelt so hoch wie die Gegenüberliegende Bebauung. Als Vergleich: Das sind mehr als 1½ Zehnmeterbretter im Schwimmbad. Das ist wirklich hoch. Viel Licht wird in den Häusern auf der anderen Straßenseite nicht mehr ankommen.
Im nach wie vor gültigen Verkehrskonzept der Stadt Willich aus dem Jahr 2014, wurde - da die Schließung des Krankenhauses feststand - auf Seite 16 und 17 eine Musterrechnung für ein dortiges Wohngebiet aufgemacht. Dort wurde mit 55 Wohnungen geplant und gleichzeitig angenommen, dass in Wohnungen im Ortskern durchschnittlich nur zwei Personen leben. Dieses Modell sei für den Verkehr gar kein Problem.
Nun sind es plötzlich 112 Wohnungen und dazu ein Supermarkt so groß wie der REWE an der Brauereistraße und nochmals 840 qm für Büros und Arztpraxen. Die Frage, wie Sattelschlepper den Supermarkt beliefern und dann beim Ausfahren - am besten durch das tägliche Verkehrschaos vor dem Gesundheitszentrum in der Burgstraße – kommen sollen, scheint niemanden zu interessieren.
Klar ist jedoch, alle Parkplätze auf Burg- und Mühlenstraße müssen weg, damit dort Sattelschlepper durchkommen. Wie dieser Lieferverkehr jedoch um die Ecke Bahnstraße/Burgstraße/Mühlenstraße kommen soll, bleibt unklar. Die damalige Technische Beigeordnete Martina Stall, hatte wohl doch Recht damit, als sie vor dem Kauf des Geländes durch die Stadt feststellte, dass die Verkehrssituation ein solches Projekt niemals hergibt.